DER SCHATTENORT TALGUT LAUENHAIN

Foto: Enrico Schubert
Foto: Enrico Schubert

Schattenort, Tatort und Täterort. Die Definition Schattenort findet man in einem Aufsatz „von der andauernden Gegenwart unrühmlicher Vergangenheit“. Es heißt: Schattenorte „tragen nicht selten historisch gewachsene Bürden und sind […] zu ikonographischen [bildhaften] Verdichtungen einer grausamen Geschichte geworden.“

 

Die Publikation nahm ihren Anfang mit skulpturalen Betonresten auf einer Postkarte. Mit den biografischen Fragmenten des Eduard Altenburg einhergehend, löste sich die dunkle Vergangenheit mit diversen Nebensträngen aus dem Nebel der Geschichte. Der Marinestandartenführer war ein Täter am Ort seines Lebenswerkes „SA Betonschiff“ im Talgut Lauenhain, sinnbildlich eines Baumeisters und real als Organisator seiner Chemnitzer Marine-SA, markiert. Der Schatten, der der heutigen Niobe anhaftet, kann nicht auf die Reste des Schiffs-Imitats beschränkt bleiben. Die Ausstellungshalle, die Massivbaracke und die Veranda des Gutshauses waren unter Altenburgs Regie entstanden. Als Zschopautalhalle und Vorbau im Abenteuercamp zeugen die Bauten von der Zeit des Nationalsozialismus. Der 1936 eingeweihte Sportplatz wird als Camping- und Kinderspielplatz genutzt. Die Nazi-Bürde liegt wie Mehltau auf dem „unbequemen Kulturgut Niobe “ und auf seinen zeitverwandten Ergänzungen.

 

Als Täter im moralisch ethischen Sinn ist der National- sozialist Altenburg explizit mit der Demütigung seines Widersachers aus der Zeit des politischen Umbruchs, Sozial- demokrat Bernhard Kuhnt, gebrandmarkt. Eduard Altenburgs Mitwissen oder Dulden der Gräueltaten im Chemnitzer Hansa-Haus, konterkarieren das Gesamtbild eines loyalen „im Grunde anständigen“1 Nazi-Handlangers.

 

Wie man die Schatten der DDR-Vergangenheit im Talgut Lauenhain einordnet, wird an haltungspolitischer Inter- pretation orientiert sein. Recherchen zur Nutzung des Komplexes für Zwecke der SED-Autokratie sind legitim und kommen keiner Relativierung der NS-Zeit gleich. Als Schüler in der ASS Hofgeismar erlebte ich die späte Adenauer-Zeit. Der Unterricht im Fach Geschichte/Sozialkunde endete mit der Weimarer Republik, soweit ich mich erinnere. Nachfragen zur Vergangenheit eines Hans Globke, Chef des Kanzleramts und Mitverfasser der Nürnberger Rassengesetze, eines Bundespräsidenten Heinrich Lübke, Bau- und Einsatzleiter von KZ-Häftlingen in der Herresversuchsanstalt Peenemünde oder eines CDU-Ministerpräsidenten Hans Filbinger, der nach Kriegsende als Kriegsmarine-Richter noch Matrosen an Oberdeck hinrichten ließ, waren in der Schule unangebracht. Privat wurde die Neugier mit: „Wir waren jung. Was hätten wir machen können.“ abgetan. Das blieb in den Kleidern und formte meinen Anspruch auf Aufklärung, ohne Scheu vor politischer Stigmatisierung. Erkenntnisse historischer Erbmasse dürfen nicht politischen mainstream hofieren, sonst würde sich der investigative Journalismus ad absurdum erweisen. Es bleibt die Hoffnung, dass sich Lesern mein humanistischer Kerngedanke nicht verschließt: Die ideologische Injektion von Kindern und Jugendlichen mit dem Gift des staatlich legitimierten Tötens, sowohl in der Marine-HJ als auch in der FDJ/GST-Seesport am Schattenort Lauenhain, sollte gesellschaftlicher Ächtung obliegen.

 

Die Klassifizierung Schattenort ist nur haltbar, weil keine politisch, rassistisch oder kulturell Verfolgten beim Bau des Betonschiffes oder in der Liegenschaft eingesetzt wurden, sonst müsste Tatort greifen. Die Nähe zum Außenlager Mittweida des KZ Flossenbürg oder KZ-Sachsenburg, könnte das vermuten lassen. Man möchte meinen, wo „Schatten“ liegt, sollte „Licht“ zu finden sein. Die lokale Identifizierung fällt schwer. Die Versorgung der zwangsweise umgesiedelten Schwarzmeer-Rückkehrer im Gasthaus des Talguts und die Betreuung ihrer teilweise kranken Kinder sind Zeichen menschlicher Empathie. Strittig bleibt die Frage, ob die Betreuung von fünf älteren arbeitslosen SA-Männern im ehemaligen Bootshaus des Weinsdorfer Arbeitervereins als soziale Leistung zu werten ist. Soziale Errungenschaften wie z. B. der „Kraft durch Freude“ Komplex Prora sind in der Geschichtswahrnehmung per se inakzeptabel. Allein die Tatsache, dass der Reichsarbeitsminister Dr. Robert Ley das KdF Seebad Prora auf den Weg brachte und dem Betonschiff in Lauenhain seine Aufwartung machte, schließt das im Grundsatz aus.

 

Die Unterscheidung der Lauenhainer Liegenschaft in Tatort, Täterort oder Schattenort ist nicht mit einer proportionalen Gewichtung nationalsozialistischer Schuldan- haftung in Ansatz zu bringen. Die fundamentale moralische Verwerflichkeit der NS-Ideologie ist trotz ihre spezifischen baulichen Ausformung und der „Täterschaft nur auf Besuch“ im Talgut Lauenhain, nicht relativierbar. Das Betonschiff in seiner ursprünglichen Form als Ausbildungsstätte der Marine-SA/HJ in organisatorischer Verflechtung mit der Chemnitzer SA war unzweifelhaft eine Wirkungsstätte und Symbol des nationalsozialistischen Regimes. Kein Tatort, jedoch ein Ort an dem sich Täter des NS-Machtapparates feiern ließen. Hochrangige Repräsentanten wie der SA-Chef Viktor Lutze, der Reichsleiter der NSDAP Robert Ley und Generaloberst der Waffen-SS Sepp Dietrich waren zu Gast in Lauenhain. Aus zweiter Reihe sächsischer NS-Politprominenz sind Martin Mutschmann und Manfred v. Killinger zu nennen. Als Täter im judikativen Sinn ist Eduard Altenburg im Schattenort Lauenhain nicht zu dokumentieren. Er war ein brillianter Projektleiter, dem seine Mannschaft zu Füßen lag. Mit Organisationstalent ausgestattet, modellierte er sein Betonschiff. Die Fluchtburg aus der nationalsozialistischen „Folterkammer“ Chemnitz. Altenburgs Täterprofil zeichnet sich ab 1933 als Befehlsverantwortlicher an den Tatorten Hansa-Haus und Falkeplatz in Chemnitz. Vom Bauleiter zum Rädelsführer bleibt er mit kollektiver Verantwortung im Räderwerk sächsischer NS-Geschichte gefangen.

AUTOR

Dipl. Ing, Architekt

Reinhard Saalfeld

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